Michael Schultz Daily News Nr. 972

Michael Schultz Daily News Nr. 972

Berlin, den 7. Juli 2015

im unsäglichen Griechendrama werden heute wohl die Weichen für die Zukunft des Landes gestellt. Angela Merkel erwartet dazu konkrete Vorschläge aus Athen, und wünscht sich von Alexis Tsipras noch in dieser Woche einen Plan, wie es mit seinem Land  weitergehen soll. Heute bereits will der griechische Ministerpräsident in Brüssel einen modifizierten Weg aufzeichnen, der Griechenland aus der Krise führen soll.  Die 'Bild', auch bekannt als Kampfblatt der deutschen Eliten, schreit auf ihrer heutigen Frontseite laut nach Verweigerung: 'Heute brauchen wir die Eiserne Kanzlerin'. Damit soll ihr Mut gemacht werden, Griechenland in den Grexit laufen zu lassen. Das deutsche Volk stehe eh hinter ihr.

Das Ergebnis des griechischen Volkes, welches sich mit großer Mehrheit hinter die Politik seines Präsidenten stellte, wird (wenn überhaupt) nur zähneknirschend respektiert. Demokratischer kann Politik nicht gemacht werden; um das zu erkennen muss man kein Linker sein. Die Befragung des Volkes beispielsweise gehört zu den Grundprinzipien der eidgenössischen Gesellschaft; die Ergebnisse werden akzeptiert und die Abstimmungsgegner treffen sich nach dem Votum vereint zur Umsetzung von Volkes Willen.


Sabina Sakoh, April '15 - The Raft (II), Öl auf Leinwand, 200 x 250 cm

Auch die Künstler haben ihre eigene, sensible Sicht auf die Dinge, die um uns geschehen.  Sabina Sakoh setzt sich in ihrer Bildwelt mit dem Demokratiebegehren vom frühen 18. Jahrhundert bis in die heutige Zeit auseinander. Bewusst vermischt sie die Eindrücke der Glorifizierung aus den Anfängen der abendländischen Demokratiebewegung mit den Missständen aus heutiger Zeit. Gewaltenteilung, Grundrechte, Menschenrechte, Religionsfreiheit und Trennung von Staat und Kirche, der Kern demokratischer Wirklichkeit gehören aus ihrer Sicht regelmäßig auf den Prüfstand. Damit sich nicht heimlich wieder einschleicht, wofür unsere Vorfahren mit ihrem Blut für eine gerechtere Welt gekämpft haben. Die antiken Demokratien in Athen und Rom gelten als Vorbilder und Grundpfeiler unserer heutigen Gesellschaftsform; doch erst in der Aufklärung formulierten Philosophen wesentliche Elemente einer modernen Demokratie. Auf diese Errungenschaft gilt es mit Argusaugen zu wachen.

'Wehret den Anfängen' von Käthe Kollwitz einst auf ein Plakat geschrieben, ist heute nicht minder bedeutend als damals. Die AfD, einst angetreten, um Deutschland aus dem Euro zurück zur D-Mark  zu führen, hat sich auf ihrem Parteitag in Essen nun endgültig gehäutet. Zur 'NPD im Schafspelz' wie es der abgewählte Parteigründer Bernd Lucke formulierte. Die in einer Kampfabstimmung als Siegerin hervorgegangene Frauke Petry verkörpert die rechtskonservative Gesinnung; ganz weit am rechten Rand will sie Stimmen einfangen und so zur germanischen Madam Le Pen aufsteigen. Olaf Henkel, einst Wirtschaftsführer der deutschen Industrie, hat seinen Austritt bereits bekannt gegeben; der Anfang einer Austrittswelle. Die Gemäßigten in der Partei hoffen, dass die als machtbesessen bekannte Neuvorsitzende sich bei der Neuverteilung von Posten und Pfründen zerfleischt, und so die Rechtstruppe bald wieder von der Bildfläche verschwindet. 

Vor einer Bürgerversammlung zum Thema Asyl kam es gestern Abend  in Freital bei Dresden zu tumultartigen Szenen. Eine sachliche Auseinandersetzung war nicht möglich, weil der Mob jede Hinterfragung niederbrüllte. Sachsens Innenminister Markus Ulbig forderte mehr Sicherheit für Flüchtlinge: er will  bei der Unterbringung von Flüchtlingen nicht vor menschenfeindlichen Protesten einknicken. Es sei klar, dass die Kommunen bei der Aufnahme von Flüchtlingen vor Herausforderungen stünden, sagte er; dennoch halte er es für notwendig, Flüchtlingen einen Zufluchtsort auch in Sachsen zu geben. Was die Gegner der Asylunterbringung gestern Abend vor laufenden Kameras alles von sich gaben, ist beschämend für unser Land. 'Abschaum' und 'Dreck' waren dabei noch die zurückhaltendsten Formulierungen für die der Heimat verlorenen Menschen. Diese Töne gehen um die Welt, und wir müssen die aufkommenden Vergleiche mit unserer schlimmsten Vergangenheit entkräften. Hoffentlich fällt uns dazu Überzeugendes ein.  

Dummes Zeug aus den Worten unserer Volksvertreter ist dabei überhaupt nicht hilfreich: 'Ob der griechische Finanzminister Varoufakis oder Costa Cordalis heißt, ist nicht der entscheidende Punkt', gesprochen von Wolfgang Bosbach (CDU), der zu allem lautstark was zu sagen hat, aber noch nie was Vernünftiges von sich gab. 

Schöne Sommergrüße.

 

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