Michael Schultz Daily News Nr. 970

Michael Schultz Daily News Nr. 970

Berlin, den 3. Juli 2015

eine unglaubliche Solidaritätswelle schwappt gerade über Europa: es geht um die Rettung Griechenlands und den Verbleib im Euro und in der Staatengemeinschaft. Fernsehsender, Tageszeitungen, Universitäten und Schulen werben für die Griechen und fordern die Geldgeber zu mehr Nachsicht auf. Rund 52 Milliarden müssten wohl noch in das Land gepumpt werden, damit sich die Wirtschaftslage nachhaltig stabilisiert und Griechenland aus eigener Kraft den Umschwung schafft. 

Heute entscheidet das oberste Gericht ob das Referendum am Sonntag überhaupt abgehalten werden kann. Doch unabhängig von dieser Entscheidung geistern wilde Szenarien durch die Medien, was denn passieren wird, wenn die Rettung Griechenlands zu scheitern droht. Der Grexit schwebt über allem. Ob dieser am Ende kommt oder nicht - wünschenswert wäre er für Deutschland so oder so nicht.

Astronomische Summen werden genannt, die durch die Bundesregierung (sprich den Steuerzahler) aufgebracht werden müssen. Augenblicklich sieht die Sachlage wie folgt aus: mit 53,3 Milliarden Euro ist der Bundeshaushalt belastet. Das entspricht rund 670 Euro pro Bundesbürger. Rechnet man die Anteile Deutschlands an den IWF- und EZB-Krediten sowie den Schulden, die Athen bei der Bundesbank hat, noch hinzu, kommt man auf knapp 85 Milliarden Euro. Von ihnen werden in den nächsten Wochen und Monaten 24 Milliarden Euro fällig - der Anteil der Bundesrepublik beläuft sich dabei auf knapp fünf Prozent. Die übrigen Kredite aus den Hilfspaketen werden aber erst ab 2020 fällig, zudem sind die Laufzeiten gestreckt. Die letzte Rate müsste erst 2057 zurückgezahlt werden.

Unmittelbare Belastungen auf den Bundeshaushalt ergeben sich damit also nicht. Wenn Griechenland zahlungsunfähig wird, müssten die Schulden abgewickelt werden. Aber auch bei einem Zahlungsausfall würden die Raten nicht sofort fällig. Für Deutschland und die übrigen Euroländer kämen ab 2023 zunächst jährlich Mehrkosten von fünf Milliarden Euro zu. Die Bundesrepublik trägt allerdings ein Fünftel der Kosten - also eine Milliarde Euro. Bei einem Bundeshaushalt von 300 Milliarden Euro schlägt diese Summe damit aber kaum ins Gewicht. Ab 2033 steigt die Belastung für die Euroländer dann etwas an - pro Jahr müssen sie dann acht Milliarden Euro aus ihren Budgets abzweigen. Deutschland käme in diesem Fall für ein Viertel der Forderungen auf. Finanziell ist die Belastung im Falle einer griechischen Pleite also überschaubar.

Zweimal Udo Nöger dieses Wochenende: heute Abend in der Kunsthalle Dresden, und morgen bei uns in Berlin.

Viel größer sind aber die ökonomischen Folgen.  Für Griechenland würden die Importe erheblich teurer. Denn mit dem Bankrott wäre das Land praktisch gezwungen, eine Parallelwährung einzuführen, um Renten und Gehälter auszahlen zu können. Die Drachme, käme sie denn wieder, würde im Verhältnis zum Euro stark abgewertet werden. Wirtschaftsexperten gehen dabei von mindestens 50 Prozent im Vergleich zum Euro aus. Im Umkehrschluss wären griechische Exportwaren deutlich günstiger - allerdings hat die einst florierende Logistikbranche stark an Bedeutung verloren, schreibt die Journalistin Miriam Moll im GMX-Magazin. 

Ouzo, Oliven und Schafskäse - all das käme deutlich billiger auf den deutschen Markt. Trotzdem glaubt man nicht daran, dass Griechenland von einem geordneten Austritt aus dem Euro profitieren und die Wirtschaft über verbilligte Exporte wieder wachsen könne: 'Es gibt einfach keine breit aufgestellte Exportwirtschaft', so der Bremer Wirtschaftsexperte Rudolf Hickel. Auch Urlaube wären im Falle eines Grexit nur bedingt billiger. Denn die Hotels, so Hickels Argumentation, müssten die Mehrkosten für importierte Ware auf die Gäste abwälzen. Gas, Öl, Lebensmittel und Medikamente - all das muss Hellas teuer aus dem Ausland einkaufen. 'Netto zahlen Touristen dann zwar erheblich weniger für ihre Reise, aber im Land selbst wird alles teurer, sobald es importiert ist', erklärt Hickel. Wer also À-la-carte speisen will, darf nicht auf einen Preisvorteil hoffen.

Die Kunsthalle Rostock eröffnet am Sonntag Burkhard Held. Retrospektiv. Ab elf Uhr mit Jazzmatinee.

Die Auswirkungen auf deutsche Firmen mit griechischen Produktionsstätten sind indes mehr von der allgemeinen Wirtschaftslage als der Währung abhängig. Allerdings würden Exporte aus Deutschland nach Griechenland teurer - 'aber nur minimal': Denn die Rechnungen würden mit billiger Drachme bezahlt, für die es im Umtausch weniger Euro gäbe.

Summa summarum, so jedenfalls sehen es die Experten, wäre das alles einigermaßen überschaubar. Doch was wäre Europa ohne Griechenland, wo doch gerade von dort aus einer Ableitung aus dem Wort 'Erebos'  dem Abendland seinen Namen gegeben wurde. Alles was wir im Netz über den Begriffsursprung zu 'Europa' finden, stammt aus Griechenland. Ihre Götter und Philosophen sind Teil unserer Kultur geworden: Zeus, Poseidon, Hades, Aphrodite, Apollon, Herakles, Helios, Dionysos -  bedeutende Figuren aus der griechischen Mythologie. Oder etwa Platon, Demokrit, Aristoteles, Pythagoras und Diogenos - Philosophen deren Gedanken zum Fundament unserer Zivilisation gehören. Europa ist den Griechen weit mehr schuldig als bisher angenommen. Manches Mal muss man halt auch mal was zurückgeben.

 

 

Generationen von Künstlern wurden durch die Mythen der griechischen Saga beeinflusst. Immer wieder greifen sie auf ein nie versiegendes Füllhorn phantastischer Geschichten zurück, und schaffen daraus eigene Bildwelten. Morgen Abend zwischen 19 und 21 Uhr eröffnen wir in unseren Berliner Galerien mit Maik Wolf (Abbildung) und Udo Nöger zwei künstlerische Positionen, deren Kunst im Kosmos mythischer Bildfindung angesiedelt ist; auch wenn sie unterschiedlicher kaum sein kann. Von Udo Nöger wird  heute Abend in der Kunsthalle Dresden eine weitere Ausstellung eröffnet (18:30 Uhr, Ostra-Allee 33, 01067 Dresden). Am Sonntag dann zeigt die Kunsthalle in Rostock eine retrospektiv angelegte Ausstellung von Burkhard Held. Eröffnung mit Jazzmatinee um 11 Uhr. (Hamburger Str. 40, 18069 Rostock)

Ein wahrlich heißes Wochenende, in dessen Zentrum Griechenland und die Kunst steht. Besser geht kaum. 

 

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