Michael Schultz Daily News Nr. 955

Michael Schultz Daily News Nr. 955

Berlin, den 12. Juni 2015

der Alltag in einer Galerie besteht nicht ausschließlich darin, sich den ganzen lieben langen Tag Gedanken darüber zu machen, wie wir die Welt verändern können. Nein, ganz und gar nicht. Auch wenn es manches Mal nicht zu vermeiden ist und so rüberkommt, dass wir nichts zu tun haben: es ist ein harter und zeitaufwendiger Job, den wir verrichten. Von früh morgens bis spät abends beschäftigt uns die Arbeit unserer Künstler, inhaltlich und strategisch. Wir erarbeiten Konzeptionen und Konzepte, verhandeln mit Kuratoren, Museen und andern institutionellen Ausstellungshäusern. Wir reden mit Kritikern und Kollegen, entwickeln Messekonzepte und kümmern uns schlussendlich diskret um die Platzierungen; bei Rolls Royce sagt man Verkauf dazu.

Für diejenigen, die schon lange dabei sind, ist viel Routine dabei, für die jüngeren Kollegen ist das viel Arbeit. Als Mittler zwischen Kunst und Markt schauen wir gerne über den Tellerrand, verfolgen das Auktionsgeschehen, beobachten die 'Konkurrenz' und sichten an den Hochschulen, in Ateliers, auf den Biennalen und überall dort, wo gute Kunst gezeigt wird. 

Positive Energien ziehen wir grundsätzlich aus den Besuchen bei den Künstlern. Dort, wo die Kunst entsteht, wo die frisch gemalten und nassen Bilder angenehm duften, dort holen wir uns die Kraft für den Fight auf dem Markt. Ihre Kunst, aber auch die Gespräche mit den Künstlern, sind es, was uns an- und weitertreibt. Wegen der Vielfalt in unserem Business mangelt es zur Abwicklung unserer Arbeit nicht an Kontakten und Gesprächen; keineswegs, die Aufschlussreichsten aber entstehen zu Beginn und am Ende unseres Tuns: in den Studios der Künstler und im Kontakt mit den Kunden. 

Gestern wieder mal war so ein Tag zum Auftanken: Atelierbesuche bei Feng Lu und Jean Y. Klein (Foto), und zum Abschluss noch ein Blick in die Ausstellungsräume im Künstlerhaus Bethanien. Powervoll ging es zurück ins Büro, und bereits auf dem Weg dahin wird das Erlebte und Gesehene entweder bestehenden Projekten zugeordnet oder aber neue dafür entwickelt. Auch wenn das jetzt ein bisschen abgehoben klingt: der künstlerischen Eruption folgt unsere strategische Explosion; ja, so kann man das beschreiben. 

Die Ergebnisse, die dabei herauskommen, sind ablesbar und vielfältig. Ausstellungen und Messebeteiligungen quer über den Erdball, Kontakte zu Sammlern und Kunden zwischen Japan und Amerika. Ein weltumspannendes Netz haben wir uns im bald 30-jährigen Bestehen unserer Unternehmung  geschaffen; mal wird Bewährtes und Teures bewegt, oft ist es die Kunst aus unserem jungen Programm. Nicht immer läuft es glatt, aber gut gegangen ist es allemal. Oft sind es die Zollbehörden, die einen reibungslosen Ablauf nicht zulassen; in China verhindert gerne der Zensor zügiges Voranschreiten, doch wirklich aufhalten konnte uns noch niemand. 

Im Kern unserer Arbeit entwickeln wir für unsere Künstler Strategien zur Entwicklung neuer und anderer Öffentlichkeit. Darum herum entstehen vielfältige Verzweigungen und Verästelungen, diese gilt es sorgsam zu hegen und zu pflegen, um am Ende im Weg zum 'Ziel' wieder ein Stück weiter gekommen zu sein. Weil aber das Geschäft mit der Kunst nicht immer gerade verläuft, sind die Wege, die wir manchmal zurücklegen müssen, ein wenig länger als in herkömmlichen Gewerken, dafür aber feiern wir die Etappen. Grundsätzlich.  

Den Künstlern geht es nicht darum, irgendwo anzukommen, erwachsen werden wollen sie auch nicht. Wozu auch. Anarchie und Nonkonformismus treibt sie durchs Leben, Kompromisse und Konventionen lehnen sie ab. Freigeister eben, die uns den Spiegel ihrer Sicht in ihrer Kunst vorhalten. Nicht immer freiwillig, so manches muss auch herausgepresst werden. Schwere Geburten sozusagen. Doch gerade dieses Verquere, zu dem wir nur schwerlich Zugang finden, verwirrt uns und verhaftet nachhaltig. Und weil es uns nicht loslässt, werden wir Bestandteil ihres Schaffens. Wenn das geschieht, dann ist der Kreislauf geschlossen. Die Künstler sind mit dem Ergebnis zufrieden. 

Dass wir uns überschätzen allerdings, ist das Schlimmste, was uns passieren kann. Um dieses zu verhindern, müssen wir im Management eine permanent geöffnete Standleitung zur Realität liegen haben. Darauf greifen wir im Notfall zurück und holen uns die Argumente zur Verortung mit der Bodenhaftung. Dabei geht es auch schon mal hoch her, die Gemüter werden bewegt, doch am Ende siegt noch immer die Vernunft.

Galerist zu sein, ist stets auch eine Gratwanderung zwischen den Welten; der berühmte Ritt auf der Rasierklinge. Euphorisch mitgehen und realistisch umsetzen, so könnte auf den Punkt gebracht unsere Arbeit definiert werden. Dazwischen passiert so viel, dass wir es für heute damit belassen. 

Wer den kommenden Sonntag gerne an der Ostsee verbringen will, dem empfehlen wir einen Besuch in Dangast. Dort referiert Maik Wolf über Franz Radziwill, spricht über sein eigenes Werk, über die Geistesverwandtschaft und seine künstlerische Beziehung zum älteren Kollegen, von dessen Bildwelt er Stimulation fürs eigene Schaffen erhielt. (Franz-Radziwill-Haus, Sielstraße 3, 26316 Dangast. Beginn 11.30 Uhr. Tageskasse 6,50 Euro)

Zurückblicken, nach vorne schauen, auch Dampf ablassen; reflektieren eben, Antrieb auch für unseren täglichen Newsletter.

 

stopnews@galerie-schultz.de